"Leuten wie mir gegenüber"
"Leuten wie Dir gegenüber hat man ja immer Berührungsänste", durfte ich mir vor so ziemlich genau einem Jahr anhören.

Eigentlich dachte ich, dass meine Arbeitsgemeinschafts-Kollegen in den mehr als 12 Monaten genug Gelegenheit hatten, ihre Berührungsänste abzulegen.
Da habe ich mich wohl getäuscht. Gerade heute haben sie es mich wieder spüren lassen.

Ich habe nicht die Lepra, bin auch nicht ansteckend und auch sonst nicht widerlich. Mein einziger "Fehler" ist, durch eine OP vor drei Jahren keine linke Beckenschaufel mehr und dadurch ein linkes Bein zu haben, das 4 cm kürzer ist als das rechte. Anscheinend macht einem das zu einem bedrohlichen Außerirdischen. Hähä.

Klar, ich bin schon stark eingeschränkt im Bewegungsablauf, in der Ausdauer und in meiner Reichweite; aber ich habe mich im Alltag soweit arrangiert. Es gibt immer wieder Tiefs (vermehrt jetzt gerade im Sommer, weil ich so vieles nicht mehr machen kann, das ich früher gern getan habe, aber ich schweife ab.), aber da muss man sich immer wieder aufrappeln und dann ist man weitgehend zufrieden.
Richtig behindert fühlt man sich eigentlich nur durch das blöde und rücksichtslose Verhalten seiner Mitmenschen und der Gesellschaft allgemein.

Das reicht von Sätzen wie oben (Hallo??? Ich bin _normal_ mit kleinen Einschränkungen) über Zuparken von Behindertenparkplätzen durch Unberechtigte zu noch viel schlimmerem.

Aber was schlimm ist, ist, dass meine AG-Kollegen durch ihre Ausbildung in Jura es eigentlich besser wissen sollten.

Jetzt habe ich das Thema auch endlich mal im Blog angerissen.
Die Rücksichtslosigkeit und Unverschämtheit in dieser Gesellschaft ist grenzenlos.
Da ich mit dieser Ansicht aber so ziemlich alleine dastehe (klar, wenn man nicht betroffen ist, fällt es einem auch nicht auf. Oder sind Euch schon mal die ganzen Barrieren für Rolli-Fahrer aufgefallen? Aber das ist auch ein anderes Thema.) und immer anecke, wird das wohl der erste und letzte Beitrag zu diesem Thema sein.

Ihr könnt nun darüber nachdenken, ob Ihr auch Berührungsänste mir gegenüber entwickeln und das Kommentieren und Kommunizieren mit mir lieber einstellen wollt.

Schönen Abend.

Edit: Eigentlich bin ich selbst schuld, dass ich mich über sowas heute so dermaßen aufgeregt habe, oder? Ich sollte es besser wissen.
Donnerstag, 22. Juni 2006, 20:20, von bettina | |alltaegliches | |comment

 
erst einmal..
....drücke ich dich feste und dann sage ich dir, dass ich dich verstehe, denn mein mann und ich arbeiten im bereich mit behinderten oder eingeschränkten menschen...und weiter bin ich nun nicht die dünnste und bekomme im alltag da auch einiges zu spüren...
annette

... link  

 
Liebe Annette!

Wenn Du im Behinderten-Bereich arbeitest, weißt Du genau, was ich meine.
Aber ändern kann man die Gesellschaft leider nicht.

LG
Bettina

... link  


... comment
 
Weia...!
Hallo Bettina,

na, das ist ja typisch, oder? Irgendwer sagte mal, behindert wird man nicht durch die Behinderung an sich, sondern durch das Verhalten anderer. Ist anscheinend etwas dran. Ich könnte mich stundenlang über das Verhalten meiner Mitmenschen aufregen. Zuparken von speziellen Parkplätzen gehört auch dazu. Ich selbst habe mich mal furchtbar "in die Nesseln" gesetzt, als ich jemanden fragte, ob ich ihm helfen könne - er blockierte einen Parkplatz und war offensichtlich nicht behindert. Kein Ausweis, keine Berechtigungskarte - nichts. Doof geschaut hat er auch und gefragt, ob ich ihn anmachen wolle. "Ja!" lautete meine Antwort - und dann kam die größte Frechheit: Wer behindert sei, brauche auch nicht einzukaufen; deshalb könne er sich auch auf diesen Parkplatz stellen. Ehrlich blieb mir der Mund offen stehen, und ich verstummte ob so einer Dreistigkeit. Mir fiel wirklich gar nichts ein! Kurz: Ich könnte jedes Mal die Wände hochgehen. Auch wenn die Leute offensichtlich wegschauen - aber nur so viel, dass man merkt, dass sie eigentlich doch gucken. Kinder sind mir da viel lieber. Als ich meinen Jüngsten, damals vier, zu einem Behindertensportfest mitnahm, war er ganz aufgeregt und mußte mir unbedingt einen Mann mit einer Prothese zeigen (und wieso der einfach sein Bein zur Seite stellen konnte...). Wir fragten nach und bekamen eine Exklusiv-Vorführung in Sachen Prothetik. Ganz nett und unbeschwert.

Wenn jemand "anders" ist, egal welcher Natur, wird er nun mal leider oftmals ausgegrenzt. Um sowas zu verhindern, müssen wir (und damit meine ich auch mich!) ganz frühzeitig anfangen, den Kindern eine gewisse Sensibilität zu vermitteln.

Wie Du Deine Arbeitskollegen allerdings mal bürsten müsstest, damit die anders ticken, weiß ich auch nicht. Das ist recht schwierig. So´n paar Doofeier!

Mit den Rolli-Fahrern hast Du übrigens Recht. Wir haben uns in der Klinik probeweise mal für eine Stunden in einen Rolli gesetzt - boah, das war eine recht heilsame Erfahrung...!

Fühl´ Dich mal etwas geknuddelt und dreh´ den Leuten innerlich eine lange Nase. Ich wünsche Dir jedenfalls eine Hand voll sehr guter Freunde, die zu Dir stehen und es schaffen, Dich wieder aufzurichten.

Liebe Grüße
Suse, die findet, dass Du ruhig öfters über dieses Thema schreiben kannst. Vielleicht werden dadurch ja wirklich auch einige Menschen auf Fehlverhalten in ihrer Umgebung aufmerksam...?

... link  

 
Liebe Suse!

Danke für Deinen ausführlichen Kommentar!
  • Was Du in Bezug auf den Parkplatz gesagt bekommen hast, ist eigentlich an der Tagesordnung (neben einigen wenigen Ignoranten, die gar nicht merken, wo sie sich hinstellen). Ich habe da allerdings auch schon schlimmeres (mir gegenüber) gehört. Euthanasie ist das beschönigende Wort dafür.
    Weißt Du, ich überlege mir dreimal, ob ich den P wirklich brauche und ob ich nicht auch anders klarkomme. Es könnte ja einer kommen, der ihn nötiger hat als ich. Und dann nehmen ihn solche Leute weg.
  • Mir fällt das schon gar nicht mehr auf, dass die (erwachsenen) Leute so glotzen. Meine beste Freundin ist darüber nur immer sehr erzürnt.
    Kinder sind da ganz anders, eben wie Dein Sohn. Die gucken, weil sie sowas noch nie gesehen haben und fragen dann, was ich hab' und ganz besorgt, ob das wehtut. Kinder sind viel offener und haben (noch) keine Vorurteile.
  • Meine Arbeitskollegen: ich habe mal versucht, eine Diskussion anzufangen, das kannst Du glatt vergessen.
  • Zum Thema Rolli: Ich kam ja auch schon in den Genuss, und was manche Planer in Kaufhäusern (zB Behinderten-WC im obersten Stock, das aber nur über die Rolltreppe, nicht über den Lift erreichbar war) so denken, ist mir ein Rätsel.
    Leute, die blöde Kommentare ablassen, würde ich gerne mal eine Woche in einem Rolli festbinden.
  • Ich habe inzwischen wirklich schon ein dickes Fell, aber manchmal da muss ich Dampf ablassen, damit das mit der langen Nase am nächsten Tag auch wieder klappt.
  • Leute, die schon eine vorgefertigte Meinung über Behinderte haben, können - glaube ich - auch nicht durch solche Beiträge zum Nachdenken angeregt werden. Sie lesen sie nämlich erst gar nicht.

    Liebe Grüße
    Bettina

... link  


... comment
 
Du weißt, dass Du nicht allein mit dem Gefühl dastehst. Das hatten wir schon, aber ich weiß, dass nach solchen Reaktionen die Wut enorm ist.
Wir könnten allerdings diskutieren, ob die juristische Ausbildung zwangsläufig ein offeneres Auge/Ohr für die Thematik ergibt, das liegt doch am Menschen und seinen Erfahrungen, oder ?
Ich schicke Dir eine Umarmung, viele liebe Grüße,
Uta

... link  

 
Liebe Uta,

ja, ich weiß, wir zwei hatten dieses Thema schon, aber ich habe mich heute - wieder mal - so aufregen müssen. Das musste raus.
Und was Du zu den Menschen und seinen Erfahrungen gesagt hast, stimmt auch: Bei manchen meiner Mitstreiter denke ich mir echt, wie die bisher durch's Leben gekommen sind.

LG Bettina

... link  


... comment
 
hallo bettina!
da muss ich mich doch auch mal zu wort melden! es tut mir wirklich leid, dass es immer noch derartige menschen gibt!
mir selbst geht es ähnlich, ich bin auch nicht ganz komplett, sogar so, dass mir viele das stricken wohl nicht zutrauen würden...
jedenfalls schicke ich dir allerliebste sonnenuntergangs-grüße und wünsche dir für die zukunft weiterhin so gute nerven um diese menschen links liegen lassen zu können!

eva

... link  

 
Liebe Eva!

Danke. Ich wünsche Dir das gleiche!

LG
Bettina

... link  


... comment
 
Berührungsängste? Ich nicht.. aber ich bin ja auch dreist und frag einfach nach.. vielleicht ist das auch ein Problem.
Bei körperlichen Behinderungen kenne ich da eigentlich nichts, wohingegen es mit geistigen Behinderungen schon anders ist.. da hab ich wohl eher eine Hemmschwelle..

Aber von mir aus könntest Du auch überhaupt keine Beine haben.. würde mich auch nicht stören.. verzeih mir meine ketzerische Äußerung..
Da sieht man mal wieder, was MICH manchmal behindert.. meine große Schnauze, die hat mir schon manches Problem bereitet.

Knuddels
Corinna

... link  

 
mir sind offene Worte und eine große Klappe immer noch lieber als Rumgetuschel. Aber das weißt Du ja, gell!

LG
Bettina

... link  


... comment
 
Liebe Bettina,
fühl dich gedrückt von deiner Ex-Wollfee!

Meine Mutter sitzt seit ca. 15 Jahren im Rollstuhl, ich kann dir nur voll und ganz zustimmen was die Barrieren angeht! Und was die Behindertenparkplätze angeht, da krieg ich sowieso bei jedem Einkauf die Krise und genauso sieht es auf den Mutter-Kind-Parkplätzen aus! Ich habe auch ein Kind, aber das ist inzwischen 8 Jahre, da brauche ich diesen Parkplatz nicht mehr.

Manchmal weiß ich echt nicht, ob das nur Gedankenlosigkeit ist, pure Absicht oder Ignoranz?

Auf jeden Fall sind solche Menschen behinderter als die, die es wirklich sind!

Zu deinen Kollegen fehlen mir ehrlich gesagt die Worte! Eine gewisse Hemmschwelle gegenüber "fremden" Gehandicapten ist denke ich manchmal schon angebracht, weil man ja auch nie weiß, wie derjenige damit umgeht. Aber bei Menschen, mit denen man tagtäglich zu tun hat, kann ich das nicht nachvollziehen. Vor allem bei einem so netten wie dir :-))))

Liebe Grüße
Natascha

... link  

 
*rotanlauf*

Liebe Natascha!

Bei den Zuparkern gibt es meiner Meinung nach zwei Typen: die Ignoranten, die einfach nicht merken, wo sie sich hinstellen, und dann die, die es aus purer Absicht tun, weil sie der Auffassung sind, Rolli-Fahrer und andere Behinderte sollen zu Hause bleiben.

LG
Bettina

... link  


... comment
 
Liebe Bettina

leider sind die Mensche in dieser Beziehung rel. schwierig. Ich (mit 8 Jahren) konnte am Vater einer Freundin, welcher infolge Unfall Querschnitt gelähmt war, meine Berührungsängste ablegen und habe heute gar keine Probleme mit Behinderten.

Und ich durfte mit einem Kinderlähmungsgeschädigten die Schulbank drücken, irgendwie kam ich schon früh mit Menschen in Kontakt, die eine Einschränkung haben.

Lass Dich nicht unterkriegen und versuch, Dich nicht in eine "Andersartigkeit" verdrängen zu lassen! Allzu gerne ziehen sich eingeschränkte Menschen zurück..... das muss und darf nicht sein! Den das ist eine wirklich Behinderung Deiner Lebensqualität!

ich wünsch Dir den Mut, weiterhin so offen und fröhlich zu sein und Ignoranten wird es leider immer wieder geben......!

Ganz liebe Grüsse

eve

... link  

 
Liebe Eve!

Das, was Du beschreibst, ist der Grund, warum ich integrative Kindergärten sinnvoll finde.

Keine Angst, ich lass mich nicht in eine Ecke drängen! Schließlich bin ich ein Löwe.

Danke Dir!

Liebe Grüße
Bettina

... link  


... comment
 
Liebe Bettina,

lass dich von solchen Leuten nicht unterkriegen. Wirklich "behindert" sind doch nur sie, nämlich im Hirn.
Mit den vier cm Beinlänge haben dir die Ärzte ja wohl nicht deinen liebenswerten Charakter weggeschnitten!!
Ich weiss, es ist hart, wenn man immer wieder Vorurteile kämpfen muss. Ich habe Hautpigmentstörungen und dadurch am ganzen Körper grössere weisse Flecken. Gerade jetzt im Sommer sieht man das natürlich besonders, da diese Stellen nicht braun werden. Ich werde oft auch mit angewidertem Gesicht angestarrt, als hätte ich Aussatz.
Du solltest dir vielleicht ein paar kräftige Bemerkungen einverleiben, die solchen Ignoranten die Spucke wegbleiben lässt. Denn oft ist Angriff die beste Verteidigung. Das habe ich mir in der Zeit unserer Unfruchtbarkeit angewöhnt.

LG
Petra

... link  

 
Liebe Petra!

Ich bin eigentlich nicht auf den Mund gefallen, aber ab und zu bleibt einem die Sprache weg. Aber ich arbeite dran.

Als ich in der 5. und 6. Klasse war, hatte ich eine Kunstlehrerin, die auch so Pigmentstörungen hatte. Wir Kinder kannten das noch nicht, sie hat es uns erklärt und gut war's . Ich weiß nicht, was da dran widerlich sein soll. Da sieht man mal wieder, dass es viel hilft, wenn man als Kind ohne Vorurteile so etwas erklärt bekommt. Oder liege ich da falsch?

Danke und schönen Sonntag!

Bettina

... link  

 
Liebe Bettina,

ich glaube, genau das ist der spingende Punkt, Kinder fragen ohne Sensationslust, lassen sich erklären und gut ist es. Auch wenn sie nicht alles verstehen, der eine ist so, der anderere ist so und Punkt.
Schwierig wird es erst, wenn die Eltern merkwürdige Reaktionen zeigen und die Kinder orientieren sich daran.
Als wir hierher zogen und ich eine Phase hatte, wo ich mehr Schübe hatte als derzeit, waren es einige Eltern, die ihre Kinder von unserer Tochter fernhielten, "das" könnte ansteckend sein, diese Bemerkung (nicht Frage !) kam neben anderen heftigen leider wirklich direkt. Die Kinder haben nur gefragt, ob ich gerade nicht so gut laufen kann, dann würden wir eben nicht auf den Spielplatz gehen und gut.
Wie ich Dir schrieb, ich bewundere dich sehr für Deine Wut, davon hätte ich gern ein wenig. Mir geht sie abhanden und ich ziehe mich eher zurück, weil ich mit den Reaktionen und der Erklärungsnot nicht klarkomme.
Gut, dass Du NICHT aufhörst zu schreiben, danke für den Eintrag !
Liebe Grüße,
Uta

... link  

 
ach, Uta!

Ich drück' Dich mal gaaaanz fest!

... link  


... comment